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Manche Menschen, die später
an einer Psychose erkranken, sind in ihrer Kindheit oder Jugend durch
Mißbrauch oder andere katastro-phale Ereignisse traumatisiert worden.
Ob die Psychose dabei eine Folge des Traumas ist oder ob andere Faktoren
zu der Häufung führen, ist umstritten. Auf einer Tagung des
Universitäts-klinikums Hamburg-Eppendorf beklagten Psychi-ater nun,
daß Patienten oft nicht nach solchen Erfahrungen gefragt werden
- von einer Integra-tion spezifischer Traumabehandlung in die Therapie
ganz zu schweigen. Es gebe "einen Nachholbedarf der Psychiatrie",
so lautet das Fazit der Tagung.
Doch wie lassen sich Traumata
in die gängigen Erklärungsmodelle für Psychosen einordnen?
Bisher nimmt man an, daß es bei rund einem Prozent der deutschen
Bevölkerung einmal im Leben zum Ausbruch einer psychotischen Störung
kommt. Sie entsteht durch eine Kombi-nation genetischer und umweltbedingter
Faktoren. Der zur Zeit gebräuchlichste wissenschaftliche Ansatz -
das so genannte Diathese-Stress-Modell - geht davon aus, daß eine
genetische Veranla-gung eine Überempfindlichkeit gegenüber Stress
schaffe.
Der Stress der Erinnerung
Josef Aldenhoff von der psychiatrischen
Uni-versitätsklinik in Kiel kritisierte in Hamburg, daß sich
die Forschung dabei zu sehr auf die biolo-gische Sichtweise konzentriere
und den emotio-nalen Kontext vernachlässige. "Endogene Psy-chosen
können exogen ausgelöst werden", betonte Aldenhoff. Das
heißt, daß die Umwelt bei entsprechender Veranlagung eine
Krankheit erst ausbrechen läßt. Zum Beleg verwies der Kieler
Psychiater auf eine neue Studie aus Israel. Danach könne massiver
Stress bei Tieren dazu führen, daß in ihren Nervenzellen andere
Gene abgelesen werden als zuvor. Das rufe eine blei-bende Übererregbarkeit
hervor.
In diese Richtung forscht auch
seit Jahren eine neuseeländische Studiengruppe um John Read von der
Universität Auckland. Read präsentierte in Hamburg ein "traumabedingtes
Neuro-Entwick-lungsmodell" (Psychiatry: Interpersonal and Biological
Processes, Bd. 64, S. 319, 2001). Dabei baut er auf jüngere Erkenntnisse
zur Traumaforschung: Demnach haben trauma-tische Ereignisse im sich
entwickelnden Gehirn ähnliche organische Folgen, wie sie in den Gehirnen
von schizophrenen Menschen festgestellt wurden. Dazu gehören Anomalien
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im Stoffwechsel der Hirnbotenstoffe
Dopamin und Serotonin, aber auch Schädigungen der Hippocampus-Region
oder Rückbildungen im Gehirn.
Die These der Neuseeländer
lautet nun: Kind-heitstraumata können neuro-physiologische Änderungen
verursachen. Und der durch Erinnerungen an die früheren Erlebnisse
hervorgerufene Stress löst dann später - je nach Heftigkeit
und Verarbeitung des Traumas - eine mehr oder weniger schwerwiegende psychische
Krise aus, mitunter eben auch Schizophrenie, meint Read. Mehrere Studien,
vorzugsweise aus Nordamerika, belegen ihm zufolge, daß jede zweite
schizophrene Krankenhauspatientin sexuell mißbraucht und fast ebenso
viele körperlich mißhandelt worden waren. Bei Männern
waren es 26 bis 39 Prozent (sexuell) beziehungsweise 44 Prozent (körperlich).
In Deutschland gibt es dazu bisher keine Unter-suchungen. Kritiker bezweifeln
allerdings einen direkten Zusammenhang.
Welche Symptome aber deuten
speziell auf eine Traumageschichte hin? Harald Freyberger von der psychiatrischen
Universitätsklinik in Greifswald nennt ausgeprägte Angstphänomene
und so genannte dissoziative Störungen wie beispiels-weise Lähmungen,
Amnesien oder Schmerz-syndrome. Er rät, das Trauma zur Sprache
zu bringen und zu bearbeiten, um so die Behandlung der meist besonders
schwer therapierbaren schizophren Erkrankten zu verbessern.
In Neuseeland wird zur Zeit
ein Trauma-Trainings-programm entwickelt, mit dem das gesamte klini-sche
Personal in Auckland darin geschult werden soll, Mißbrauchserfahrungen
standardmäßig zu erfragen. Derweil werden in Deutschland erst
einmal Daten gesammelt.
So wurde jetzt an der Hamburger
Universitäts-klinik unter Leitung von Dieter Naber eine Studie gestartet.
Anhand von 30 Patienten wollen die Ärzte die Häufigkeit von
Mißbrauchserfahrungen sowie die spezielle Symptomatik dieser Patienten
erfor-schen. Sie stehen den neuseeländischen Erkennt-nissen zur Häufigkeit
von Mißbrauchserfahrungen allerdings noch skeptisch gegenüber:
"Diese sind auch sehr von der Definition abhängig, und es liegen
erst wenige Studien vor", so der stellvertretende Klinikchef Michael
Krausz.
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